Aufbruch - anders besser leben
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Kompetenzen für den Wandel – eine holistische Betrachtung

Von Madeleine Genzsch

Die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) sind ein wirkungsvolles Kommunikationsinstrument, um die Komplexität der facettenreichen Fragestellungen im sozio-ökologischen Transformationsprozess strukturiert und eingängig herunterzubrechen. Allerdings adressieren die SDGs ihre Ziele und Forderungen überwiegend an Strukturen, Organisationen und Institutionen im Außen. Gleichzeitig gelingt es immer mehr Organisationen, diese institutionellen Ziele auch auf die individuelle Ebene zu übersetzen, Impulse zu formulieren, wie jede/r Einzelne einen Beitrag zur Realisierung der SDGs leisten kann. Mit dem Projekt „SDG 18 – Bewusstseinswandel“ möchten wir einen Schritt weitergehen und den Transformationsprozess um die innere Dimension erweitern.

In komplexen Systemen wie unserer Gesellschaft oder dem Ökosystem der Erde stehen Subjekt und Milieu in wechselseitiger Beziehung. So wie sich das System prägend auf uns auswirkt, so wirken sich unsere Antriebe und unser Handeln prägend auf das System aus (vgl. Systemtheorie¹). Die moderne Psychologie beschreibt den Menschen längst nicht mehr als ein rein rationales Wesen. Wir sind auch fühlende Wesen, und unser Verhalten ist stark von unbewussten automatischen Prozessen und Konditionierungen gesteuert. Die Auseinandersetzung mit der inneren Dimension muss damit verbunden elementarer Bestandteil für einen erfolgreichen Wandel in eine nachhaltige Zukunft sein.

Bewusstseinsbildung (Ich. Innen.)

Auf der Verstandesebene wissen wir um viele der Missstände, die unser tägliches Leben betreffen. Die Masse an Informationen begünstigt jedoch auch eine Abstumpfung, mit der wir dem Leid anderer Lebewesen begegnen. Ob stille Akzeptanz von Tierquälerei bei der Lebensmittelproduktion oder der prekären Umstände von Geflüchteten in Lagern: Wir wissen um die Problematiken, aber wir fühlen sie nicht. Damit Veränderung eintreten kann, muss neben der Verstandesebene auch das Herz berührt und Empathiefähigkeit entwickelt werden. Durch Bewusstseinsbildung erkennt das Individuum seine Rolle und Verantwortung im Kontext globaler Herausforderungen. Es begreift, dass alles auf diesem Planeten miteinander in Verbindung steht und nichts isoliert von seiner Umgebung betrachtet werden kann. Die Auseinandersetzung mit der Frage „Wer bin ich?“ lässt einen aktiven, inneren Lernraum entstehen. Sie beinhaltet die SELBST-bewusste Auseinandersetzung mit den Motiven und Werten, die dem eigenen Denken und Handeln zugrunde liegen.

Eine aktive Praxis der Geistesschulung erlaubt uns, destruktive Handlungsmuster zu erkennen, sie aktiv zu hinterfragen und aufzulösen. Das „Leermachen“ vom kontinuierlichen, unbewussten Strom unkontrollierten Denkens wird seit Jahrtausenden in allen großen spirituellen Traditionen praktiziert: Meditation, Gebet, Kontemplation, Sammlung, Versenkung. In der Selbstreflexion wird sich der Mensch der eigenen Stärken und Talente gewahr und strebt die Entfaltung seiner Potenziale an. In der geistigen Leere entsteht Raum für Kreativität und Inspiration, Dinge neu zu denken. Darüber hinaus entwickeln Praktizierende einen tiefen inneren Frieden sowie eine positive Grundhaltung dem Leben gegenüber und strahlen dies in ihr Umfeld aus. Humanistische Werte wie Menschlichkeit und Mitgefühl, Respekt, Offenheit, Demut und Mäßigung werden gefördert, eine tiefere innere Ebene verbindet Wissen mit Weisheit. Um Stärken und Schwächen, Talente und Potenziale wissend, tritt das Individuum ins Außen und findet einen eigenen Weg, aktiver Teil des Wandels zu sein (Ich. Außen). Im Handeln entfalten wir Selbstwirksamkeit und erfahren, welche Wirkungsmacht in uns steckt. Im Tun, was unseren Stärken entspricht, erleben wir ein Gefühl von Nützlichkeit. Positive Resonanz sowie kleine und große Erfolgserlebnisse nähren Motivation, Mut und Tatkraft.

Gemeinsinn (Wir. Innen.)

Die globale Gemeinschaft steht vor komplexen Herausforderungen. Um sie zu lösen, müssen wir als Gemeinschaft kooperieren: Wissen, Stärken und Kompetenzen zusammenbringen, Konkurrenz- und Profilierungsverhalten ablegen und das gemeinsame Ziel in den Vordergrund stellen. Kommunikative Fähigkeiten erlauben uns, den „Sender-Modus“ zu verlassen, um vorbehaltlos und einfühlsam zuzuhören und uns auf die Bedürfnisse und Sorgen anderer einzulassen. Auf diese Weise können wir die verbindenden Elemente herausarbeiten, Vielfalt integrieren, statt Andersdenken auszugrenzen. Innovative soziale Techniken und Kollaborationsmethoden ermöglichen uns, Lösungen gemeinsam und basisdemokratisch zu entwickeln und umzusetzen. Co-kreative Prozesse bringen AkteurInnen aus den unterschiedlichen Milieus, Lebens-, Arbeits- und Entscheidungsrealitäten zusammen und schaffen ein Miteinander, in dem sich alle als gleichwertige PartnerInnen im Transformationsprozess begreifen. „Die Politik“, „die Wirtschaft“, „das System“ sind keine autonomen Strukturen. Sie sind Spiegelbilder der Werte unserer Gesellschaft. Daher ist es für den Transformationsprozess von elementarer Bedeutung, dass wir uns aktiv und bewusst mit unseren gesellschaftlichen Werten auseinandersetzen, um sie im demokratischen Prozess in gesetzliche Rahmenbedingungen zu fassen, um einen Paradigmenwechsel einzuleiten. (Wir. Außen.)

Ein demütiger Umgang mit Ressourcen, Gerechtigkeit, Friedfertigkeit, Solidarität und Mitgefühl ... eine nachhaltige Entwicklung ist nur so wirkungsvoll wie die Menschen, die ihre Werte wirklich verinnerlicht haben. Innehalten, hinsehen, hinspüren – auch Otto Scharmer² (MIT University) benennt in seiner „Theory U“ die spirituelle Dimension als einen wichtigen Baustein in individuellen und kollektiven Veränderungsprozessen, ebenso der Wirtschaftsreformer Christian Felber³ („Gemeinwohl-Ökonomie“) oder der Mediziner Jon Kabat-Zinn⁴ („MBSR“⁵). Es liegt also nah, dass wir auf dem Weg in die Nachhaltigkeit unsere heutige, stark rationale Perspektive auf die Welt um die spirituelle Dimension erweitern und Geist, Herz und Hand in einem holistischen Ansatz zusammenführen.
Madeleine Genzsch, Nov. 2021

Abb. in Anlehnung an die „integrale Theorie“ nach Wilber⁶

(1) Niklas Luhmann, Dirk Baecker (Hrsg.): „Einführung in die Systemtheorie“. 5. Auflage. Carl Auer, 2009.
(2) Otto Scharmer: „Essentials der Theorie U: Grundprinzipien und Anwendungen“. Carl-Auer, 2019.
(3) Christian Felber: „Die innere Stimme: Wie Spiritualität, Freiheit und Gemeinwohl zusammenhängen“. Publik-Forum, 2015.
(4) Jon Kabat-Zinn: „Zur Besinnung kommen: Die Weisheit der Sinne und der Sinn der Achtsamkeit in einer aus den Fugen geratenen Welt“. Arbor, 2019.
(5) Mindful Based Stress Reduction
(6) Ken Wilber: „A Theory of Everything: An Integral Vision for Business, Politics, Science and Spirituality“. Shambhala, 2001.

SOL on Air17 - Bewusstseinswandel durch SDG 18?

Freies Radio Freistadt Barbara Huterer

In dieser Sendung befassen sich Julia Hochrainer, Kim Aigner und Barbara Huterer mit dem Thema Bewusstseinswandel. Dazu hat Kim ein spannendes Interview mit Madeleine Genzsch, von der SOL-Partnerorganisation „Aufbruch – anders-besser -leben“ zu ihrer Initiative zum SDG 18 (Sustainable development goals) mit dem Titel Bewusstseinswandel geführt. www.sdg18.de

21. Dezember 2021, nachhaltig.at/sol-on-air/

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